Outernational: Isles & Rivers
Entlang sich verfestigender und auflösender Grenzen erzählt »Isles & Rivers« die Geschichte der Musik als ewige Geschichte der Migration. Und nähert sich der Insel als realer Utopie.
Zuhörer:innen sind eingeladen, den Fluss an verschiedenen Ufern zu verlassen und wieder zu betreten – mal ist das Programm wild schäumend, mal leise. Kompositionen der Solist:innen des Ensembles, das für dieses Projekt wie eine Familie zusammengewachsen ist, umkreisen das Meer, angetrieben von wandernden Rhythmen und Melodien: Sokratis Sinopoulos ist einer der größten Lyra-Virtuosen Griechenlands, Keyvan und Bijan Chemirani haben eine gänzliche eigene Spielweise für persische Perkussion entwickelt, der in ihre Stücke einfließt. Yannis Kyriakides, der auch als Live-Elektroniker auf der Bühne steht, widmet sich in seinem neuen Stück “Knowing Nothing” dem Philosophen Metrodorus von der Insel Chios. Die für dieses Programm zusammengestellte Besetzung präsentiert eine weitere Neukomposition von Kyriakides: „The Island Remained Silent”. Es basiert auf acht Texten über die erste Begegnung eines Erzählers mit einer Insel und erzählt vom Mittelmeer als Raum der Flüchtlingserfahrung. Bei Aufführungen in Berlin, Hamburg, Griechenland und Luxemburg hinterließ das Projekt ein begeistertes Publikum – und die Reise geht weiter!
Tracklist
Das Stück »138« von Keyvan und Bijan Chemirani ist eine modale Komposition im 13-8er Rhythmus, die die Brüder gemeinsam komponiert haben. »Wie so oft hat Bijan die Grundidee geliefert und ich habe das Stück von da aus weitergedacht«, so Keyvan Chemirani. Die Outernational Besetzung hat es erstmalig auf der Insel Chios gespielt, beim Chios Music Festival in einem offenen Amphitheater. Seither ist es mit dem Ensemble weiter gewachsen und ein Herzstück des Albums geworden.
Sokratis Sinopoulos hat eine große Rolle in der Wiederbelebung der Lyra in Griechenland gespielt, sowohl in der traditionellen Musik als auch in der Entwicklung neuer Musik. In »Aegean Sea« bringt Sokratis Sinopoulos verschiedene Elemente und musikalische Einflüsse der Ägäis zusammen, einem historischen, kulturellen Melting Pot sondergleichen. Bei all dem geht es Sokratis Sinopoulos nie um eine simple »Fusion« verschiedener Einflüsse und Zutaten, sondern um eine feinsinnige Begegnung und Weiterentwicklung.
»Die Lyra ist über 5.000 Jahre alt. Sie hat eine starke Persönlichkeit, die sich aus der Geschichte der Region und deren Musik formt. Ich kann aus dieser Vergangenheit Kraft schöpfen, darauf aufbauen, etwas Neues erschaffen und vielleicht damit auch einen Blick aus der Vergangenheit heraus in die Zukunft werfen.«
– Der Komponist über das Instrument
In dieser, von Outernational für dieses Programm in Auftrag gegebene, neuen Komposition basiert die von Yannis Kyriakides gespielte Elektronik auf einer rhythmischen Auflösung von Worten und Stimmen, die den Rahmen für eine pulsierende Komposition bildet, in der die Musiker:innen aus verschiedenen Traditionen in ein ineinandergreifendes Netzwerk von sich entwickelnden Phrasen eintreten. Das Stück ist inspiriert von einem Ausspruch des wenig bekannten vorsokratischen Philosophen Metrodoros von der Insel Chios: “Keiner von uns weiß irgendetwas, nicht einmal, ob wir wissen oder nicht wissen, noch wissen wir, ob es Nichtwissen und Wissen gibt, noch allgemein, ob es etwas gibt oder nicht”. Die Uraufführung dieses Stücks fand beim Chios-Musikfestival 2021 statt.
»Die Instrumente ahmen nach, was die Stimme sagt, sie spiegeln es – sind dabei in ihrer Art des Ausdrucks aber ganz frei. Ich will, dass sie den Phrasen eine Bedeutung in ihrer eigenen musikalischen Sprache einhauchen. Das ist es, was Musik bewirken kann. Die fürs Englische programmierte Computerstimme dagegen kann nur versuchen, verschiedene Sprachen zu sprechen, was auch einen kolonialen Aspekt hat: Das Englische erscheint hier als Killersprache, die alle anderen Sprachen zerstört.«
– Der Komponist über sein Stück
Rognoni war ein italienischer Komponist des 16. Jahrhunderts, “Vestiva i colli” ist eines seiner bekanntesten Werke. Die Diminutive über ein Madrigal von Palestrina sind ein Beispiel für die stetige Befruchtung der Musik der Renaissance durch Austausch und Reisen. Auch die in diesem Projekt von Andreas Arend gespielte Theorbe als Instrument erzählt davon – in ihrer Verwandtschaft zur Laute und zur arabischen Oud.
Für manche ist »Grybbon« die inoffizielle Outernational-Hymne. Eine rhythmisch komplexe Komposition von Keyvan Chemirani mit viel Raum für Improvisationen – ob für die Lyra oder für die Zarb. Komponiert hat er es für seine Frau.
Die Brüder Bijan und Keyvan Chemirani spielen zusammen, seit sie Denken können. In diesem Duo widmen sich Zarb und Zarb ein improvisiertes Wechselspiel, das die Vielfalt der persischen Percussion ausschöpft.
Der international bekannte Musiker Ross Daly sagte in VAN Outernational mal über sie:
»Mir kommt es nicht vor allem darauf an, Virtuosen zu finden. Ich suche Menschen, deren Musik unmittelbar ihr innerstes Wesen zutage fördert. So ist es bei den Chemiranis und das ist der Grund, warum sie seit Jahrzehnten zu meinen Lieblingsmusikern zählen.«
Sokratis Sinopoulos beschreibt »21 March« als die Transition vom Dunklen ins Licht. Der 21. März ist nicht nur Frühlingsanfang, internationaler Tag gegen Rassismus, sondern wird in vielen Kulturen auch als Neujahr (Nowruz) gefeiert.
Eine gänzlich freie Improvisation von Bijan Chemirani an der Zarb und Yannis Kyriakides an der Elektronik.
In »Berceuse«, französisch für Wiegenlied, wechselte Bijan Chemirani vom Perkussionsinstrument Zarb an die Langhalslaute Saz.
Die zweite Auftragskomposition von Outernational für dieses Programm ist die Partitur »The Island Remained Silent«. Sie ist ein interaktiver »Video Score«, der durch Audio-Eingaben der Musiker:innen generiert wird. Die Form des Stücks ist ein Liederzyklus, bei dem die automatisch generierten Melodien nicht gesungen, sondern von dem Ensemble gespielt werden. Es basiert auf acht Texten über die erste Begegnung eines Erzählers mit einer Insel – dabei ist die Insel sowohl ein politischer Ort der Utopie, als auch ein von vielen Geflüchteten nicht zu erreichendes Refugium.
In der Ciaccona von Merula kommt die ganze Besetzung zusammen – auch die Ciaccona in ihrer Form und Variationstechnik steht für die ewige Weiterentwicklung von Musik durch Migration.
Live aufgenommen @ Radialsystem Berlin.
Ein Projekt von Outernational. Kuratiert von Elisa Erkelenz
in Kooperation mit dem Radialsystem Berlin
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Recording, Mix & Master: Martin Ruch | Control Room Berlin