Kamale N’goni trifft auf Synthesizer, Balafon auf Posaune. In „Bridging Bamako Berlin“ mischen sich traditionelle Klänge aus Mali mit elektronischen Sounds aus Berlin.
Auf Anregung des malischen Sängers und Multiinstrumentalisten Lassine Koné treffen traditionelle westafrikanische Instrumente wie Kamale N’goni, Bolon und Balafon auf Klarinette, Posaune, Schlagzeug und Kontrabass. Im Zusammenspiel mit der elektronischen Musik der Berliner Soundkünstlerin AMET enstehen faszinierende neuen Klangwelten. Im direkten musikalischen Dialog und in beeindruckenden Improvisationen suchen die Musiker:innen in „Bridging Bamako Berlin“ eine neue Musiksprache jenseits klassischer Kategorien und Narrative.
Against all odds
von Marc Sinan
Lassine Koné ist die Körper gewordene Avantgarde. Als ich Lassine im Sommer 2018 zum ersten Mal treffe, auf dem Anwesen der Tänzerin Kettly Noel, die sich in Bamako ihren eigenen Garten Eden geschaffen hat, begegnet mir ein Fels von einem Mann, mit hüftlangen, tiefschwarzen Rastalocken. Kettly und Lassine sind aus einem Holz geschnitzt, oder besser gesagt: aus einem Stein gehauen. Sie sind eins mit ihrer Kunst.
Wenn sie zu tanzen und zu spielen beginnen, verschwindet die Welt um sie herum und sie ziehen einen hinüber in ihre Dimension. Das ist eine seltene Kraft. Und doch unterscheiden sie sich in einem Punkt: Kettlys Stein ist hart wie Granit und Lassines so schwer und weich zugleich, er muss von einem fremden Stern kommen. Als wir zum ersten Mal gemeinsam musizieren, spielt er die Kamale Ngoni, eine Form der westafrikanischen Harfeninstrumente, mit den Haaren, mit den Zähnen, springt auf, singt, tanzt, schreit. Er hyperventiliert in eine zwei Liter Plastikflasche um mit ihr Klänge zu erzeugen. Nach Minuten droht die Flasche zu platzen. Nicht Lassine lässt in seiner Kraft nach, das industriell gefertigte Material bedeutet ihm kein Widerstand.
Habib Sangaré lädt mich zu sich nach Hause ein, in sein traditionelles Häuschen, mitten in der Stadt, in dem kleine, offene Räume rund um einen Innenhof angelegt sind. Wir improvisieren gemeinsam. Er spielt Bolon, eine Art Kontrabass der westafrikanischen Musik. Vier Saiten sind an einem gebogenen Hals über eine Kalebasse gespannt. Habib spielt Rhythmen, die ich nicht verstehen kann. Er entwickelt mikrotonale und mikrorhythmische Gesten, die gleichzeitig organisch und hochpräzise wirken und einen Fluss herstellen, der jenseits des musikalischen Vokabulars stattfindet, das in meiner Praxis vorkommt. Es bleibt mir ein zauberhaftes Rätsel. Habibs Musik schwebt knapp über dem Boden. Sie schwebt und ist doch der roten malischen Erde tief verbunden. Joel Diarra der Balafonspieler kommt vorbei. Er spielt gerne gleichzeitig auf zwei Instrumenten, die er so anordnet, dass er chromatisch spielen kann. Das tut bald auch Lassiné. Eins ergibt sich aus dem anderen. Er spielt zeitgleich mit zwei Instrumenten – in jeder Hand eines. Joel ist von ansteckender Fröhlichkeit. Ich habe ihn in Bamako nur mit lachendem Gesicht erlebt.
Die drei werden ein Ensemble, das wir einladen, mit uns in Europa zu spielen. Eine der coolsten Bands, die ich kenne. Sie nennen sich Djiguya Orchestra, nach der Region im Süden des Landes, aus der die Vorfahren Lassines stammen.
2019 kommen wir zurück nach Bamako, proben mit den Kollegen, proben mit Kettly, filmen die Sessions, lernen uns kennen. Wir bereiten ein großes pantopisches Konzertprojekt vor, „Am Anfang“, in dem sich unterschiedliche Narrative von Schöpfung gegenüberstehen. Die Vorzeichen sind sensationell, die menschliche und künstlerische Begegnung ist voller Lebensfreude und Sinn.
Die dritte Reise nach Bamako ist im Januar 2020. Wir steigen aus dem Flugzeug und Frauen und Männer in Schutzanzügen richten uns Thermometer auf die Stirn um bei der Einreise nach Mali die Temperatur der Flugpassagiere zu messen. Wir deuten das als übertriebene Vorsicht einer Region, die aus der Ebola Epidemie gelernt hat, extreme Vorsicht walten zu lassen. Im Rückblick waren wir naiv.
Zwei Jahre später erst können wir unsere Zusammenarbeit fortsetzen. Dazwischen liegen die Unwegbarkeiten der Corona-Pandemie, die uns zwingt immer neue Wege zu finden, auf digitalen Wegen weiterzumachen. Aber musizieren ist ein physischer Vorgang der Begegnung. Nichts kann die Sinnlichkeit und den Sinn ersetzen, der sich ergibt, wenn Menschen Raum und Zeit, diese von uns selbst erfundenen, zutiefst menschlichen Kategorien miteinander zu teilen.
Während zweier Aufenthalte 2022 zu Konzerten in Berlin entsteht dieses erste eigene Projekt der Band: Bridging Bamako Berlin. Lassiné, Habib und Joel treffen auf Musiker:innen, mit denen sie ins Studio gehen. Oğuz Büyükberber, der Klarinettist und elektronische Musiker aus Amsterdam und der Schlagzeuger Daniel Eichholz, mit denen sie bereits in „Am Anfang“ zusammenarbeiten. Die Kameruner Musikerin AMET, eine Ikone des feministischen, postkolonialen elektronischen Musik. Meinrad Kneer, der Kontrabassist, der den Wal der Streichinstrumente in einen Zaunkönig zu verwandeln weiß, Johannes Lauer, der Posaunist, der selbst in Mali lebte und in Bands als Sideman durch Westafrika reiste.
So ist diese Aufnahme entstanden. Nur Lassines Rastalocken sind in der Zwischenzeit von schlohweißen Strähnen durchzogen. Und Joel, der ewig fröhliche Joel, ist eine Tages spurlos verschwunden. Keiner von uns hat je wieder von ihm gehört.
So bleibt nur festzuhalten: schwierige Jahre formen großartige Musik und das kleine Pflänzchen des Djiguya Orchestras blüht – against all odds – wie eine Blume in der Wüste. Möge sie zu einer Blumenwiese heranwachsen, möge sie eine leuchtende Zukunft haben!